»Ich war aus Prinzip dagegen. Dann kam die Diagnose: finales Nierenversagen.«

»Ich war aus Prinzip dagegen. Dann kam die Diagnose: finales Nierenversagen.«

Ich war gerade dreißig geworden und hatte ohne die Niere eines fremden Toten kaum eine Chance zum Überleben. Jeden Tag führte mein Organismus mir vor, wie schwer ihm ein Sterben mit dreißig Jahren fiel. Mein Körper weigerte sich, lebenssatt wie die biblischen Patriarchen einfach seinen Mund zu schließen und sanft zu entschlafen.

Bis zu dieser Diagnose war für mich die Organentnahme die „Ausweidung“ eines Menschenkörpers. Eine Niere, die an fremde Adern genäht wurde, verachtete ich als Ersatzteil und die Gier nach solchen Werkstücken, die uns ewiges Leben verheißen, fand ich anmaßend, ja skrupellos.

Der Grund, dass ich dem Vorschlag zustimmte, mich auf eine Liste zur Nieren- und Bauchspeicheldrüsen-Transplantation eintragen zu lassen, war der grausame, verzweifelte Durst einer Diabetikerin, der das Trinken untersagt worden war. Ich kann die Tatsachen nicht gefälliger drehen oder wenden, ohne sie zu verfälschen. Als ich wieder mit bitterem Gaumen erwachte, willigte ich in die Ausräumung des künstlich beatmeten Torsos eines Fremden ein.

Meine erste Frage nach dem Aufwachen aus der Narkose war: „Scheide ich Wasser aus?“ Die Schwester lachte: „Literweise!“ Die Organe des Fremden hatten bereits mit einem gründlichen Hausputz in ihrer neuen Umgebung begonnen.

 

Susanne Krahe
ist Theologin, Schriftstellerin und Journalistin. Als junges Mädchen erkrankte die heute 55-Jährige an Diabetes und erblindete mit 30. Eine Organtransplantation hat ihr das Leben gerettet. Ihren vollständigen Artikel „Mein angeknüpftes Leben“ finden Sie >>> hier.

 

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